Stellungnahme zum Beschluss des VG Stuttgart vom 19.10.2017
Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19.10.2017, zugestellt am 26.10.2017, lehnt es den Eilantrag eines Bürgers aus Matzengehren vom 03.05.2017, den bereits begonnen Bau des Windparks Rosenberg-Süd in 866m Nähe seines Anwesens zu stoppen, ab. Die "BI Windkraft mit Vernunft Rosenberg-Süd" ist selbst nicht klageberechtigt und unterstützt den unmittelbar von den WEA betroffenen Bürger.
Das Verwaltungsgericht hat sich viel Mühe gemacht, immerhin hat es ja auch fast sechs Monate gedauert, bis der Eilantrag entschieden wurde, während dessen dann die Windräder im Eiltempo hochgezogen wurden. 20 Seiten ist die Begründung lang, dutzende von Urteilen hoher und höchster Gerichte werden angeführt. Umgekehrt wurde wohl mit sehr viel weniger Mühe die konkrete und lokale Situation betrachtet: Da ist bisweilen von der „Gemeinde Matzengehren“ die Rede, bisweilen von den 5 Bestands-WEA in Neuler (!), und auch von einer Biogas-Anlage westlich von Zumholz (sie liegt aber östlich), deren Pumpen nicht rund um die Uhr arbeiten und daher nicht als Vorbelastung dazugezählt werden dürften (!).
Wenn man dies nun als formale Nebensächlichkeiten abtun will, bleiben trotzdem einige dicke Brocken übrig, die wir als Anwohner nur schwer verstehen können:
1.) Das Gericht befindet die Schallprognose der EnBW, die nach einem alten Verfahren durchgeführt wurde, weiterhin für aussagekräftig, obwohl bereits die Umweltministerkonferenz und auch ein jüngstes Gerichtsurteil in Nordrhein-Westfalen ausdrücklich betont haben, dass ein neues Verfahren, das sogenannte Interimsverfahren angewendet werden müsse. Auf dieser - veralteten - Basis sei eine Überschreitung „nicht absehbar und nur theoretisch denkbar“. Soweit die Theorie, aber die Wahrheit liegt immer in der Praxis: Die vom Gericht mehrfach zitierte Prognose von 39 dB wird in der Realität zur Makulatur, wir haben bereits jetzt 46db (A) (erlaubt: 45 db), und im niedrigfrequenten Bereich mehr als 70 db(C) am besagten Ort gemessen.
2.) Das Gericht hält angesichts einer Entfernung von 866m zur nächsten WEA eine optische Bedrängung für nicht „im Entferntesten möglich“, auch weil Bäume und Hecken dazwischen seien (!). Diese Einschätzung ist angesichts von 230m hohen Anlagen, deren Rotoren die Fläche von 2 Fußballfelder durchmessen, absurd und beweist einmal mehr, dass sich das Gericht offensichtlich nicht mit der realen Situation vor Ort auseinandergesetzt hat. Ein einziger Blick vom Wohnhaus zeigt dies. Warum wohl werden in den meisten Bundesländern Mindestabstände von 1000m eingeführt? Im Übrigen stellt sich das Gericht damit eindeutig gegen eine Auffassung des VG Freiburg vom März 2017, das bei Anlagen von mehr als 200m Höhe zu einem anderen Urteil kommt. (So viel zum Thema Rechtsgleichheit)
3.) Begründungsdefizite des Gerichts: Sowohl die Erteilung des sofortigen Vollzugs wie auch der Verzicht auf eine UVP-Prüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung durch das LRA Ostalb werden vom Gericht als „nachvollziehbar“ und „ordnungsgemäß“ eingeschätzt. Das sehen wir mit guten Gründen ganz anders. Was uns aber enttäuscht: Beide Aussagen werden einfach nur als Thesen gesetzt, ohne Begründung oder Triftigkeitsabwägung mit unserer Gegenposition. Ist das aber nicht ein Grundprinzip der Verwaltungsgerichtsbarkeit?
4.) Was uns besonders enttäuscht: Das Gericht zieht sich in allem auf einen formal-legalistischen Standpunkt zurück und berücksichtigt in keiner Weise das unerhörte Zustandekommen der Genehmigung: Verquickung von Politik und Wirtschaft, mögliche Befangenheit des Landrats bei der Genehmigung, Verdrehung von Verwaltungsabläufen und ihren Verfahrensregelungen ("Genehmigungsfiktion"). Und ein deutsches Gericht nimmt dies nicht einmal zur Kenntnis?
Unser Fazit:
Das Genehmigungsverfahren, von der Ausweisung der Flächen über die Genehmigung bis hin zum Eilantrag zur Aufhebung des Sofortvollzugs ist ein Offenbarungseid für rechtsstaatliche Verfahren. Sämtliche Rechtsmittel, die wir als Bürger haben, wurden uns systematisch aus der Hand geschlagen: die Widersprüche gegen den Flächennutzungsplan 2013 wurden ignoriert, die Petition wurde verschlampert, die Widersprüche gegen die Genehmigung wurden nicht bearbeitet und die Betroffenheit eines Anwohners vom VG nicht anerkannt. Unser Glaube an eine gerechte Justiz ist erheblich erschüttert worden.
Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Die politische Weltanschauung, die Windkraft auf Teufel komm raus zu forcieren und sich selbst dabei ökomoralisch gut zu fühlen, hat sich wie Mehltau auf das Land gelegt. Im Ergebnis entsteht ein Tunnelblick darauf, der keine Seitenblicke auf die Nebenwirkungen wie Zappelstrom, fehlende Speichermöglichkeiten, Ausbau der landschaftszerstörenden Hochspannungsleitungen, ungewisse Gefahren durch Infraschall und durch elektromagnetrische Auswirkungen u.v.a. mehr erlaubt und auch vor Behörden nicht halt macht. Die Meinungen und Werte besorgter Bürgerinnen und Bürger und ihrer Familien werden nicht gesehen und nicht in juristische Entscheidungen gegossen.